In Zukunft sicherer unterwegs mit dem Fahrrad-Assistenzsystem?

Ob Straßenschäden oder geöffnete Autotüren: Eine Smartphone-App soll Radfahrende künftig vor Unfallgefahren warnen.

09. November 2023
4 Minuten

Durch vorausschauendes Fahren können Kfz- und Fahrradfahrende Fahrradunfälle vermeiden. Die Hochschule Niederrhein erforscht, wie die Fahrzeug-zu-Fahrrad-Kommunikation über 5G-Mobilfunk dabei helfen kann.

Ein Gewerbegebiet im nordrhein-westfälischen Moers: Simon Hüsges fährt mit seinem Fahrrad an parkenden Autos vorbei. Plötzlich öffnet jemand vor ihm eine Autotür. Gerade noch rechtzeitig kommt er mit quietschenden Bremsen vor der Tür zum Stehen.

In dieser nachgestellten Szene ging zum Glück alles glimpflich aus. Unfälle, bei denen Radfahrende mit plötzlich geöffneten Autotüren kollidieren, häufen sich jedoch. Laut einer Studie der Unfallforschung der Versicherer (UDV) handelt es sich bei 52 Prozent der Unfälle zwischen Radfahrenden und parkenden Fahrzeugen im innerstädtischen Bereich um sogenannte Dooring-Unfälle (vom Engl.: door = Tür). Die Folgen können schwerwiegend sein: Wenn Radfahrende gegen eine plötztlich geöffnete Autotür prallen oder versuchen dieser auszuweichen, können sie schwere oder lebensgefährliche Verletzungen an den Beinen oder am Kopf erleiden. Bislang sind Dooring-Unfälle eine Gefahr, der Radfahrende kaum vorbeugen können, da vorausschauendes Fahren hier an seine Grenzen stößt. Damit liegt die Vermeidung solcher Unfälle auf Seite der Autofahrenden und anderer Pkw-Insassen, die aus einem parkenden Fahrzeug aussteigen. Vor dem Öffnen einer Autotür sollten sie mit dem Blick in die Seitenspiegel und über die Schulter sicher gehen, dass sie beim Aussteigen niemanden gefährden.

Forschungsprojekt entwickelt Frühwarnsystem für Radfahrende

Im Rahmen dieses Forschungsprojekts konnte Simon Hüsges einen Zusammenstoß vermeiden, weil er rechtzeitig vor der geöffneten Autotür gewarnt wurde. An seinem Lenker ist ein Smartphone befestigt. Darauf ist eine App installiert, die auf den ersten Blick wie ein gewöhnliches Navigationssystem aussieht. Doch die Live-Kartenansicht zeigt Hüsges nicht nur den optimalen Weg zu seinem Ziel, sondern auch mögliche Gefahrenstellen und kritische Verkehrssituationen auf seiner Strecke. So kann er diese frühzeitig erkennen und entsprechend reagieren.

Handynutzung beim Radfahren? Augen auf die Straße!

  • Um sich und andere nicht zu gefährden, sollte man während der Fahrt auf das Mobilitelefon verzichten.
  • Wer während der Fahrt ein Handy in der Hand benutzt und einen Unfall verursacht, muss mit einem Bußgeld von bis zu 100 Euro rechnen.
  • Muss in dringenden Fällen telefoniert werden, heißt es: anhalten und absteigen.
  • Ausnahme: Das Mobiltelefon darf z. B. als Navigationssystem genutzt werden, wenn es sich in einer Handyhalterung am Lenker befindet und die Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Witterungsverhältnisse es zulassen. Da aber jede Ablenkung im Straßenverkehr eine Gefahr darstellt, sollte man zum Bedienen der Navigation vom Rad absteigen.

Mehr Informationen finden Sie hier.

Hüsges ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule Niederrhein in Krefeld. Dort entstand die Idee für ein Fahrrad-Assistenzsystem, das vorausschauendes Fahren unterstützen und so die Sicherheit von Radfahrenden erhöhen soll. Seit 2021 arbeitet die Hochschule gemeinsam mit den Unternehmen Smart Living GmbH aus Dortmund und Triopt GmbH aus Moers im Projekt „Car2Bike.5G“ an der Entwicklung eines solchen Systems.

Die App hilft bei der sicheren Routenplanung.

Die Smartphone-App wurde von der Software-Entwicklerin Madlin Schulz von Smart Living programmiert. Am Computerbildschirm zeigt sie, wie die Kartenansicht in der App funktioniert. Dabei erklärt sie, dass das System zum Teil auf bereits vorhandene Daten zurückgreift: „Es gibt ein Forschungsprojekt, das Gefahrenstellen in ganz Deutschland gesammelt hat und diese Daten online als Open Source zur Verfügung stellt. Wir lesen sie in unser System ein, sodass man auf der Karte direkt sehen kann, ob es auf der geplanten Route unebene Straßen oder gefährliche Ausfahrten gibt.“ Schon vor dem Losradeln wissen Radfahrende also, worauf sie unterwegs achten müssen: Sie können ihre Route entsprechend planen oder eine Ausweichroute suchen.

Zukünftig sollen die Radfahrenden auch während der Fahrt Hinweise erhalten: „Es geht darum, dass sie in der akuten Situation gewarnt werden, sodass sie direkt reagieren können“, sagt Schulz.

Nähert sich ein Fahrrad, wie in der eingangs geschilderten Szene, einem parkenden Auto, dessen Tür geöffnet werden könnte, erscheint in der App ein optisches Signal in Form eines Warndreiecks. „Wir testen gerade, ob wir das auch akustisch darstellen können.Eine akustische Warnung hat den Vorteil, dass der Blick auf den Straßenverkehr konzentriert bleibt.

Fahrzeug-zu-Fahrrad-Kommunikation in Echtzeit

Nicht nur die Radfahrenden werden gewarnt, auch die Person im parkenden Auto erhält über das eigene Assistenzsystem mit 5G Anbindung einen Hinweis, dass sich ein Fahrrad nähert – und kann so einen Zusammenstoß verhindern. Voraussetzung für dieses Frühwarnsystem ist, dass Fahrzeuge mit ihrer Umgebung kommunizieren, also Signale senden und empfangen können. Dies wird als „Car-to-X-Technologie“ bezeichnet. Das „X“ steht dabei für das Umfeld der Fahrzeuge und kann sowohl die Infrastruktur wie Ampeln oder Parkplätze als auch andere Verkehrsteilnehmende wie zu Fuß Gehende, Radfahrende oder E-Scooter Fahrende umfassen.

Auf dem Gelände des Projektpartners Triopt demonstriert Simon Hüsges gemeinsam mit Projektleiter Prof. Christoph Degen von der Hochschule Niederrhein eine weitere Verkehrssituation: Während Prof. Degen mit seinem silbernen Auto ausparken will, nähert sich Hüsges mit dem Fahrrad. Ihre Assistenzsysteme tauschen über das Mobilfunknetz Daten aus, sodass beide rechtzeitig über die Position des anderen informiert sind. Das Auto bremst und lässt das Fahrrad passieren.

App kann bald von Radfahrenden genutzt werden

Damit das Fahrrad-Assistenzsystem optimal im Straßenverkehr eingesetzt werden kann, müssen laut Prof. Degen noch wichtige Rahmenbedingungen geschaffen werden: „Die Automobilhersteller und alle Beteiligten müssen nun den gemeinsamen Schritt gehen und anfangen, Fahrzeuge auszustatten. Und auch die Mobilfunkgerätehersteller müssen die Kommunikation mit Fahrzeugen sowie allen Diensten, die damit verknüpft sind, unterstützen.“

Auch wenn die Realisierung der Fahrzeug-zu-Fahrrad-Kommunikation noch einige Jahre in Anspruch nehmen wird, können Radfahrende ihre Routen schon bald mit der App vorausschauend und sicher planen: Nach Abschluss des Projekts im Laufe des Jahres 2023 wird sie unter dem Namen „SABINA – smart way of safe bike navigation“ kostenlos zur Verfügung stehen. Die Anzeige von Gefahrenstellen, wie etwa unübersichtlichen Kreuzungen, Straßenbahnschienen oder schlechtem Straßenzustand funktioniert auf jedem Android-Smartphone mit Internetverbindung. Eine iOS-Version ist geplant.

Wie lassen sich Dooring-Unfälle vermeiden?

  • Für Rad- wie für Autofahrende gilt: Aufmerksam am Straßenverkehr teilnehmen und auf andere Verkehesteilnehmende Rücksicht nehmen.
  • Autofahrende und Pkw-Insassen sollten vor dem Aussteigen mit dem Blick in die Seitenspiegel und über die Schulter sicher gehen, dass sie niemanden gefährden.
  • Sie sollten außerdem beim Aussteigen den „Holländischen Griff“ anwenden: Wer im Fahrzeug auf der linken Seite sitzt, öffnet die Tür mit der rechten Hand. Wer auf der rechten Fahrzeugseite sitzt, öffnet die Tür mit der linken Hand. Dabei macht man automatisch den Schulterblick, kann das rückwärtige Umfeld einsehen und so Dooring-Unfälle vermeiden.
  • Um sich zu schützen, sollten Radfahrende genügend Abstand zu parkenden Fahrzeugen halten und vorausschauend fahren: Geschwindigkeit anpassen, auf Lichtsignale von Autos achten und jederzeit bremsbereit sein.
  • Radfahrende sollten für ihre Sicherheit einen Fahrradhelm tragen und ihre Sichtbarkeit erhöhen durch die vorgeschriebene Beleuchtung und Reflektoren am Fahrrad sowie farblich auffällige Kleidung aus reflektierendem Material.

Bilder: Jan Ladwig